Fortsetzung des Einspruchsverfahrens bei Erlöschen eines Patents

Ein Einspruchsverfahren kann auf Antrag des Einsprechenden auch dann fortgesetzt werden, wenn der Patentinhaber in allen benannten Vertragsstaaten auf das europäische Patent verzichtet oder das betroffene Patent in allen benannten Vertragsstaaten erloschen ist. Der Einsprechende muss hierzu einen entsprechenden Antrag innerhalb von zwei Monaten nach einer Mitteilung des Europäischen Patentamts über den Verzicht oder das Erlöschen stellen.

Regel 84 (1) EPÜ

  1. Chronologie des Falls

Im vorliegenden Fall hatte die Einspruchsabteilung ihre Zwischenentscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form erlassen. Der Einsprechende wurde mit amtlicher Mitteilung nach Regel 84 (1) EPÜ über das Erlöschen des europäischen Einspruchspatents informiert und erhielt eine Frist von zwei Monaten, um einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens zu stellen.

Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung legte der Einsprechende Beschwerde ein. Etwa zwei Wochen später erklärte der Einsprechende unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die amtliche Mitteilung seinen Wunsch, das Einspruchsverfahren fortzusetzen. Danach zog der Einsprechende seine Beschwerde zurück, bestätigte jedoch gleichzeitig den Wunsch, das Einspruchsverfahren fortzusetzen.

In etwa ein Jahr nach Eingang des Antrags auf Fortsetzung des Verfahrens beschloss die Einspruchsabteilung, das Einspruchsverfahren nicht fortzusetzen. Als Grund für die Entscheidung wurde genannt, dass kein rechtzeitiger Antrag auf Fortsetzung gestellt worden sei.

Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte der Einsprechende Beschwerde ein und beantragte die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Der Einsprechende (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) warf der Einspruchsabteilung vor, die Entscheidung, das Einspruchsverfahren nicht fortzusetzen, habe den Antrag der Beschwerdeführerin auf Fortsetzung ignoriert. Die Beschwerdeführerin verwies in ihren Beschwerdegründen auf ihren rechtzeitigen Antrag auf Fortsetzung, der nie zurückgenommen wurde. Sie beanstandete daher den in der angefochtenen Entscheidung angeführten Grund, dass sie keinen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach Regel 84 (1) EPÜ gestellt habe. Ferner machte die Beschwerdeführerin geltend, dass die Einspruchsabteilung bei Nichtbeachtung ihres Antrags einen wesentlichen Verfahrensverstoß begangen habe.

  1. Entscheidung der Beschwerdekammer

Die Kammer stimmte mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass der von der Einspruchsabteilung vorgebrachte Grund, das Einspruchsverfahren nicht fortzusetzen, unrichtig war, da die Akte tatsächlich ein ausdrückliches und unzweideutiges Schreiben der Beschwerdeführerin vom 14. März 2017 enthalte, in dem sie innerhalb der vorgeschriebenen Frist beantragt hatte, dass das Verfahren fortgesetzt wird.

Darüber hinaus hatte die Beschwerdeführerin bei der Rücknahme ihrer Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung ihren Antrag auf Fortsetzung des Einspruchsverfahrens ausdrücklich bestätigt und klargestellt, dass der Widerruf den Antrag auf Fortsetzung gemäß Regel 84 (1) EPÜ nicht berühre.

In diesem speziellen Fall wurde der Antrag auf Fortsetzung zu dem Zeitpunkt gestellt, an dem eine Beschwerde anhängig war, und es wäre in die Zuständigkeit der betreffenden Beschwerdekammer gefallen, darüber zu entscheiden. Die Beschwerde wurde jedoch nach zwei Monaten zurückgenommen und somit bevor die Kammer sich damit befassen konnte. Von diesem Moment an lag die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Antrags wieder bei der Einspruchsabteilung. Der Lauf der Dinge mag zu Verwirrung geführt haben, aber dies ändert nichts daran, dass ein Antrag auf Fortsetzung rechtzeitig gestellt wurde und die Einspruchsabteilung zur Prüfung verpflichtet war.

Die Beschwerdekammer war auch der Ansicht, dass die Beschwerdeführerin von der Entscheidung der Einspruchsabteilung beeinträchtigt werde:

Obwohl das Einspruchsverfahren zu einer Zwischenentscheidung geführt hatte, die nach Zurücknahme der Beschwerde rechtskräftig geworden war, war das Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen, und die Fortsetzung des Verfahrens konnte noch rechtliche Bedeutung haben. Für den Abschluss des Einspruchsverfahrens müsste die neue Spezifikation des geänderten Patents veröffentlicht werden (Artikel 103 EPÜ), wobei diese Veröffentlichung von bestimmten Handlungen des Inhabers abhängig ist (Regel 82 (2) EPÜ), wie etwa der Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr und der Einreichung von Übersetzungen der geänderten Ansprüche. Nach der gleichen Regel fordert das Amt den Patentinhaber auf, diese Handlungen innerhalb einer bestimmten Frist durchzuführen. Die Nichtbeachtung einer solchen Aufforderung hat den Widerruf des Patents zur Folge. Der Widerruf hat im Gegensatz zum Erlöschen oder zum Verzicht rückwirkende Rechtswirkungen, siehe Artikel 68 EPÜ.

Die Akte enthielt des Weiteren keinen Hinweis darauf, dass dem Patentinhaber eine Einladung nach Regel 82 (2) EPÜ zugesandt wurde. Daraus folge, dass die Einspruchsabteilung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Fortsetzung offenbar nicht erkannt und geprüft hatte und die Beschwerdeführerin dadurch beeinträchtigt worden war.

Da die Entscheidung, das Einspruchsverfahren nicht fortzusetzen, auf einem fehlerhaften Grund beruhe, müsse sie aufgehoben werden, und die Einspruchsabteilung solle unter gebührender Berücksichtigung des Antrags der Beschwerdeführerin eine neue Entscheidung treffen.

Die Kammer gelangte ferner zu der Auffassung, dass die völlige Nichtbeachtung eines ausdrücklichen und eindeutigen Antrages einen wesentlichen Verfahrensverstoß darstelle. Tatsächlich wurde die Beschwerdeführerin zu diesem Antrag entgegen Artikel 113 (1) EPÜ ganz offensichtlich nicht angehört. Der Umstand, dass dies möglicherweise nicht beabsichtigt war, sondern lediglich das Ergebnis eines Versehens der Einspruchsabteilung, so dass der Einspruchsabteilung der Antrag überhaupt nicht bekannt war, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Die Kammer hält es unter den Umständen für gerecht, dass die Beschwerdegebühr erstattet wird.


MERKE:
Der Verzicht bzw. das Erlöschen des Patents gilt ex nunc, das heißt vom Datum des Verzichts bzw. Erlöschens an existiert der Patentschutz nicht mehr, während der Widerruf ex tunc gilt, das heißt die Wirkungen des Patents gelten als von Anfang an nicht eingetreten (Art. 68 EPÜ).
Der Einsprechende kann durchaus auch bei Erlöschen oder Verzicht ein Interesse an einem Widerruf eines europäischen Patents haben.

EPA-Entscheidung vom 04.11.2019 – Aktenzeichen T 2492/18

Vanessa Bockhorni
Patentanwältin