In einer aktuellen Vorlage soll die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Bezug auf computerimplementierte Simulationsverfahren neue Rechtsprechung schaffen.
Der Fall
In dem zugrundeliegenden Fall geht es um die computerimplementierte Simulation einer bestimmten Menge von Fußgängern in einem Gebäude auf Basis eines physikalischen Modells der Fußgänger. Jeder Fußgänger wird im Prinzip so abgebildet, dass er von einem Punkt A zu einem Punkt B gelangen möchte, aber durch unterschiedliche Probleme und Bedingungen daran gehemmt wird. Typische Einflüsse auf den Fußgänger sind weitere Fußgänger, sowie Gegenstände, die sich zwischen A und B befinden. Darüber hinaus wird auch der Fußgänger als physikalisches Modell berücksichtigt mit Parametern wie beispielsweise Bewegungsfreiheit, Tempo und dgl.
Derartige Simulationen helfen einem Ingenieur bei der Konstruktion eines neuen Gebäudes, um dessen Gestalt so zu konzipieren, dass die Fußgängerströme im Gebäude optimiert sind.
Klar ist, dass eine derartige Simulation im Falle weniger Fußgänger im Prinzip im Geiste oder auf Papier ausgeführt werden kann, dass es aber im Falle einer Vielzahl von Menschen im Prinzip unmöglich ist die Simulation durchzuführen, und der Einsatz eines Computers unabdingbar ist.
Im vorliegenden Fall hatte die Prüfungsabteilung in der ersten Instanz die erfinderische Tätigkeit ohne Nennung von Druckschriften mit der Begründung verneint, dass es an einer technischen Aufgabe fehle.
Die Technische Beschwerdekammer der zweiten Instanz sah keine einheitliche Rechtsprechung, welche es ihr ermöglichen könnte, den vorliegenden Fall zu entscheiden. Zwar würde die strikte Befolgung der Kriterien in G 3/08 zu dem Ergebnis führen, dass es an einem weiteren technischen Effekt fehle, der dann eine Zurückweisung wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit erwarten lasse. In Bezug auf Simulationsverfahren gebe es aber auch die Entscheidung T 1227/05, die sich mit der numerischen Simulation von Rauschstörungen unterworfenen Schaltungen beschäftigt. Diese Entscheidung wird sowohl in den Guidelines für die Prüfung am Europäischen Patentamt als auch in dem Buch der Rechtsprechung der Beschwerdekammern als ein Positivbeispiel für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit bei Simulationsprozessen genannt.
Die Technische Beschwerdekammer erläutert detailliert die Übereinstimmungen der Situationen in T 1227/05 und bei dem vorliegenden Fall (Elektronen in elektrischen Schaltungen vs. Fußgänger im Gebäude). Vereinfacht gesagt besagt T 1227/05, dass durch die Geschwindigkeit des Simulationsverfahrens eine umfangreiche Klasse von Entwürfen virtuell getestet und auf erfolgversprechende Kandidaten durchsucht werden kann, sodass vor der Fertigung abgeschätzt werden kann, ob der Bau eines Prototyps Erfolg verspricht. Da durch die dort simulierten Schaltungen eine hinreichend bestimmte Klasse von technischen Gegenständen definiert wäre, könne ein Patent auf das Simulationsverfahren erteilt werden.
Die mit dem aktuellen Fall befasste Technische Beschwerdekammer merkt an, dass es nicht die Aufgabe des Europäischen Patentamtes sein kann, den Patentschutz für Simulationsverfahren vorzusehen, wenn dies vom Gesetzgeber nicht ursprünglich gewollt war. Entweder müsse die Große Beschwerdekammer nun auf eine Abkehr von der T 1227/05 entscheiden, oder sie entscheidet darauf, dass bei Simulationsverfahren besondere Kriterien angewendet werden müssen, die dann eben zu etablieren wären.
Die Vorlagefragen
Vorrangig wird gefragt, ob die computerimplementierte Simulation eines technischen Systems oder Vorgangs als solches ein technisches Problem lösen könne, das einen technischen Effekt erzeuge, der außerhalb der Implementation der Simulation auf dem Computer zu finden sei, wenn die Simulation als solche beansprucht würde. Die hätte den Effekt, sodass die einzelnen Schritte der Simulation (typischerweise mathematische Formeln) bei der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden können.
Weiterhin wird gefragt, welches die relevanten Kriterien zur Beurteilung der Frage seien, ob eine computerimplementierte Simulation ein technisches Problem löse. Ob es hierfür reiche, dass die Simulation selbst zumindest in Teilen auf technischen Prinzipien basiere, die dem zugrundeliegenden simulierten System oder Verfahren unterliegen. In einer dritten Frage wird auf den Zusammenhang mit einem Design-Prozess (hier eine Gebäudearchitektur) konkretisiert, in dem die Simulation verwendet wird, um beispielsweise ein Design zu verifizieren.
Kommentierung
Wir stellen von unserer Seite aus fest, dass die Prüfer am Europäischen Patentamt es sich in der ersten Instanz manchmal sehr leicht machen. Sie recherchieren keinen oder nur entfernten Stand der Technik zu einer computerimplementierten Erfindung und argumentieren pauschal damit, dass es an einer technischen Aufgabe fehle.
Kein Rechercheergebnis zu einer Patentanmeldung zu erhalten, ist aber denkbar unzufriedenstellend für den Anmelder.
Während es vor einigen Jahren vielleicht noch gar nicht möglich war, vernünftigen Stand der Technik zu derartigen Simulationsverfahren zu recherchieren, sollte dies aus unserer Sicht heutzutage locker im Bereich der Möglichkeiten eines Prüfers am Europäischen Patentamt liegen. Nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl von Patentanmeldungen, die in diesem Bereich in den letzten Jahren bereits getätigt wurden.
Wenn die Beschwerdeinstanz dem Anmelder nun Recht gibt, dann würde der Fall zumindest mit der Bitte um Durchführung einer vollständigen Recherche zur ersten Instanz zurückverwiesen werden.
Nach unserer Auffassung sollten computerimplementierte Erfindungen unter Anwendung der bekannten Kriterien bei der Neuheitsprüfung und unter Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geprüft werden. Dies setzt zumindest eine Kenntnis des relevanten Stands der Technik voraus.
Es wäre außerdem zu hoffen, dass die Große Beschwerdekammer eine Reihe von Kriterien nennt, mittels welcher Erfindungen dieser Art unter Anwendung des EPÜ korrekt untersucht werden können.
Dipl.-Phys. Thorsten Brüntjen
Patentanwalt